Gebaute Natur

Eine Dokumentation der Funktionsweise von Grünbrücken von Tom Kaiser

Grünbrücken stellen für mich den Inbegriff des Anthropozän dar, des Zeitalters des Menschen.
Wir bauen Straßen, weil wir ihre Notwendigkeit über die des Naturschutzes stellen; da wir aber wissen, wie sich die entstehende Zerschneidung auswirkt, kompensieren wir diese mittels des Baus von Grünbrücken. Diese stellen eine beeindruckende menschliche Leistung dar: Wir erschaffen künstlich ein Stück Natur, das von Wildtieren angenommen wird und sich in die umliegenden natürlichen Abläufe eingliedert.


»Does being civilized make you incapable
of giving the creatures around you a little space in which to live?«1

1   Daniel Quinn: "Ishmael – An Adventure of the Mind and Spirit", Bantam Books,  New York, 1995. S. 246

Grünbrücken

Ein Überblick

Amphibien nutzen voneinander getrennte Laichgebiete und Landlebensräume, und Säuger wie z.B. Rotwild gehen von ihren Sicherheitsräumen ausgehend auf Nahrungssuche. Auf die gleiche Weise nutzen viele andere Tierarten ebenfalls täglich oder im Verlauf eines Jahres unterschiedliche Lebensräume oder Habitatelemente. Eine Zerschneidung dieser Teillebensräume kann mittel- bis langfristig zum Aussterben einer Population führen.1

Grünbrücken sind als Ausgleich für dieses Problem gut geeignet, denn sie haben den Anspruch, möglichst von allen in der Landschaft vorkommenden Arten angenommen zu werden und so als universelle Querungshilfe zu dienen.

Etwa ein Drittel aller Tierarten, darunter Laufkäfer und Eidechsen, haben lediglich einen Aktionsraum von wenigen Hektar, können sich also nicht weit fortbewegen. Diese Tierarten konnten nur aufgrund der Natur-Dynamik Jahrtausende überleben und den wachstumsbedingten Veränderungen ihres Lebensraumes trotzen – sobald ihre Umgebung sich zu stark verändert, können sie dort nicht überleben, sodass sie rechtzeitig ihren Standort verändern müssen.

Der wichtigste Punkt ist der, dass die heute vorherrschenden Wirtschaftswälder mit ihren großflächig angelegten, gleichartigen Baumbeständen vollkommen anders funktionieren als ein Naturwald. In einem solchen treten selten Mosaikräume mit ähnlichen ökologischen Konditionen auf, die größer als die Länge eines fallenden alten Baumes von 30-50 m Höhe sind. Selbst für wenig wanderungsfähige Arten sind die kurzen Entfernungen von Mosaik zu Mosaik recht leicht überwindbar, was sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen neuen Lebensraum erreichen lässt, wenn ihr bisheriger Lebensraum durch die fortschreitende Sukzession nicht länger nutzbar ist.2

Die Sicherung des Fortbestandes von genetisch stabilen Pflanzen- und Tierpopulationen erfordert sehr große naturnahe Gebiete. Durch die Vernetzung kleinerer Lebensräume oder Biotopen über „Trittsteinbiotope, Natur-Korridore und Grünbrücken“3 zu einem großen, engmaschigen System — dem Biotopverbundsystem —, kann ein Individuenaustausch der jeweiligen Arten über große Entfernungen möglich gemacht werden.
Diese Vernetzung funktioniert mittels Korridoren, die stets die gleichen Bedingungen wie die umliegenden Lebensräume aufweisen und sich mit ihnen verändern. Das macht den größten Unterschied zu anderen Querungshilfen aus.4


1   H. Reck (Hrsg.), „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz, 2005. S. 139.
2   a.a.O., S. 134.
3   a.a.O., S. 134.
4   a.a.O., S. 134.

Karte der Korridore

Zerschneidung

Verkehrswege zerschneiden die Landschaft. Viele Wildtiere, von Laufkäfern bis zu Rotwild, pflegen regelmäßig in verschiedene Lebensräume zu wechseln – beispielsweise, um Futter- und Schlafplätze aufzusuchen. Wenn die dafür genutzten Routen von Straßen, Bahntrassen oder Kanälen gekreuzt werden, bleiben solche Wanderungen mehr und mehr aus, was unter anderem auch für ein Ausbleiben des natürlichen Genaustausches zwischen lokalen Populationen sorgt. Je mehr unser Straßennetz ausgebaut wird, desto kleiner und stärker verinselt werden die einzelnen Lebensräume der Tiere, und desto eher müssen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden.1

 

"Die Mobilität von Individuen bzw. die raum-zeitlich wechselnde Arealnutzung ist eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass die heutige Vielfalt innerhalb von Populationen (die genetische Vielfalt), die Artenvielfalt sowie die Ökosystem- oder Landschaftsvielfalt nachhaltig gesichert werden können, und dafür, dass Anpassungsvorgänge möglich bleiben."2

Was kann und muss dagegen getan werden? Die weitere Zerschneidung von Lebensräumen muss vermieden werden, durch vorausblickendes Planen von neuen Verkehrswegen oder durch den Bau von Querungshilfen (wie zum Beispiel Grünbrücken oder breiten Durchlässen für Wasserläufe) an bestehenden Hindernissen für wandernde Wildtiere.

 „Bereits in den frühen 80er-Jahren wurde dies [die Fragmentierung von Lebensräumen] als Gefährdung der Biologischen Vielfalt erkannt und es wurden erste Konzepte zum Biotopverbund erarbeitet.“3 Bislang fehlte ein überörtlicher Ansatz zur Planung eines solchen Biotopverbunds sowie bei der Eingriffsbewältigung z.B. von Straßenbauvorhaben.

 

Bundesnaturschutzgesetz

Das Bundesnaturschutzgesetz (kurz BNatSchG) betont die Notwendigkeit, Natur und Landschaft „auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen“ zu schützen.4

Unter anderem ist ein Ziel des Gesetzes, ein Netz verbundener Biotope zu schaffen, das mindestens 10% der Fläche eines jeden Landes umfassen soll.

Das BNatSchG weist die Aufgabe des sogenannten Umweltmonitoring, also der Beobachtung von Natur und Landschaft, grundsätzlich dem Bund und den Ländern zu. Es wird festgelegt, dass der Zustand und die Veränderungen von Natur und Landschaft gezielt und fortlaufend ermittelt und bewertet werden.


1    H. Reck (Hrsg.), „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz, 2005. S. 275.
2   NATUR UND LANDSCHAFT: Zeitschrift für Naturschutz und Landschaftspflege. Bonn: Verlag W. Kohlhammer, Dezember 2013. S. 487.
3   H. Reck (Hrsg.), „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz, 2005. S. 9.
4   Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), §1 Abs. 1. Verfügbar unter: https://dejure.org/gesetze/BNatSchG/1.html.

Auswirkungen der Zerschneidung auf den Menschen

„Nutzer von Natur und Landschaft, der Naturschutz, die Landwirtschaft, der Verkehrswegebau und die Siedlungsentwicklung, die Forstwirtschaft, die Jagd und der Tourismus“1 sind alle Betroffene von der Problematik der Zerschneidung. Denn nicht nur Wildtiere, auch der Mensch profitiert von den vorgenommenen Entschneidungsmaßnahmen: Häufige Argumente für die Notwendigkeit von Entschneidungsmaßnahmen sind beispielsweise Wildunfälle mit Todesfolge, die durch Grünbrücken an stark frequentierten Stellen stark verringert, wenn nicht gar völlig vermieden werden können.
Aus zerschnittenen Gebieten verschwindet die Natur als Erholungsort für uns Menschen — genießen können wir die Natur dann nur noch, wenn wir an andere Orte fahren.

Die heilsame Wirkung von strukturreichen, naturnahen Umgebungen ist längst bewiesen. Krankenhauspatienten mit Ausblick auf eine solche Umgebung benötigten in einer Studie weniger Schmerz- und Schlafmittel und waren insgesamt zufriedener als Vergleichspatienten mit Blick auf eine Häuserzeile.2

"Ökologisch nachhaltiges Handeln in unserer Kulturlandschaft [...] bedeutet Wiederherstellung ökologischer Wechselbeziehungen in Biotopverbund-Systemen." Eine von Menschen als erholsam und ästhetisch ansprechend empfundene Natur ist durch eine reiche und natürlich wirkende Pflanzen- und Tierwelt sowie durch Strukturvielfalt und Abwechslungsreichtum gekennzeichnet.3


1   H. Reck (Hrsg.), „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“. Bonn-Bad Godesberg: Bundesamt für Naturschutz, 2005. S. 71.
2   a.a.O. S. 141f.
3   a.a.O. S. 141.

Drei Grünbrücken

Bad Bramstedt | Brokenlande | Kiebitzholm

Grünbrücke Kiebitzholm

Infotext

Standort: BAB 21, Kiebitzholm

Bauzeit: 2004–2005
Kosten: 2,5 Mio. Euro
Brückenlänge: 34,50 m
Brückenbreite: 47,00m
Gesamtlänge: 92m

nutzbare Breite an engster Stelle: 35m
nutzbare Breite an weitester Stelle: 47m

Quelle: H. Reck und B. Schulz, „Biologische Vielfalt sichern durch Wiedervernetzung. Die Regionen und Naturraum übergreifende Umsetzung in Schleswig-Holstein“. 2017. S. 11.

Wie auch der Bau der anderen beiden fotografierten Grünbrücken, erfolgte auch der Bau der Grünbrücke Kiebitzholm unter Verkehr. In allen Fällen kommt dies dadurch zustande, dass kein Straßenneubauprojekt vorliegt, sondern die Grünbrücken als Kompensationsmaßnahmen in die bestehende Infrastruktur eingegliedert werden. Bei neu angelegten Straßen müssen laut Gesetz Entschneidungsmaßnahmen wie Grünbrücken oder Ottertunnel bereits bei der Planung berücksichtigt werden.

 

„In dem durch die Straße zerschnittenen Waldstück war es wiederholt zu schweren Wildunfällen, auch mit Todesfolgen, durch Kollisionen mit Wild gekommen. Der Bau der Grünbrücke sollte primär diesen Unfallschwerpunkt entschärfen und gleichzeitig einen bedeutsamen Fernwechsel für die Tierwert erhalten. Die Zielsetzung aus naturschutzfachlicher Sicht war, die angrenzenden Lebensraumtypen [...] über die Autobahn führen zu können und die Austauschfunktionen für die Tierwelt zu sichern. Generell steht aber nicht der Schutz einzelner Arten im Vordergrund. Das zentrale Ziel ist die nachhaltige Sicherung der biologischen Vielfalt.“1

Längerfristiges Ziel ist das Ermöglichen der Wiederbesiedlung verwaister FFH-Gebiete (Schutzgebiete) via Grünbrücke durch die sogenannte Hinterlandanbindung, also die Verbindung der Grünbrücke mit den umliegenden Lebensräumen.


1   H. Reck und B. Schulz, „Biologische Vielfalt sichern durch Wiedervernetzung. Die Regionen und Naturraum übergreifende Umsetzung in Schleswig-Holstein“. 2017. S. 11.

Interaktive Tour über die Grünbrücke

Die Umgebung der Grünbrücke Kiebitzholm

Wildkamerabilder

Laut Naturschutzgesetz müssen die Erfolge beim Einsatz der Grünbrücken regelmäßig überprüft werden. Diesen Vorgang nennt man Monitoring.

Zu diesem Zwecke wurden auf der Grünbrücke Kiebitzholm mehrere Wildkameras installiert: Läuft ein Tier vorbei, erkennt ein Sensor die Bewegung und löst die Kamera aus. Die Funktionsweise ist dabei grundsätzlich sehr ähnlich wie die von automatischen angehenden Lampen.

Bildquelle: http://www.wildkamera-sh.de/, mit freundlicher Genehmigung von Björn Schulz.

Grünbrücken Bad Bramstedt und Brokenlande

Daten (baugleiche Brücken)

Bauzeit: 2017–Ende 2018
Brückenlänge: 67 m
Brückenbreite: 62,50 m
Gesamtlänge: 92m

nutzbare Breite an engster Stelle: 60m
nutzbare Breite an weitester Stelle: 65m

Aus: Neubau BW 405a: Grünbrücke "Brokenlande". Erläuterungsbericht

Vor dem Bau der Grünbrücke bei Bad Bramstedt an der A7 war die Landschaft durch verschiedenste Nutzung von Monokulturen von Fichten und mit Spätblühender Traubenkirsche überwachsen. Um mit der Anlage und Wiederherstellung von Magerrasen, Feuchtwiesen, Kleingewässern und Wäldern beginnen zu können, mussten zunächst die in der Umgebung der Brücke liegenden Landschaftsflächen von den Eigentümern erworben oder langfristig gepachtet werden. Durch die Maßnahmen wird die Landschaft als Lebensraum aufgewertet und wird für ziehende Tiere insgesamt deutlich durchlässiger.1

Der Standort für die Brücke bei Brokenlande – ebenfalls an der BAB 7, in der Nähe des Rastplatzes Brokenlande – wurde nach wildbiologischen Gutachten ausgewählt. Außerdem fiel der Abstand zu Wohn- und Gewerbegebieten ins Gewicht. Wichtig ist auch die Möglichkeit, Grund und Boden in der Umgebung erwerben zu können. Rund um die Querung wurden 15 Hektar Land aufgeforstet, um den Tieren qualitativ hochwertige Lebensräume zu bieten. Dies stellt sicher, dass mehr Arten die Brücke erreichen und nutzen können. Zusätzlich zu der Brücke wird ein Wildschutzzaun entlang der A7 errichtet, damit die Tiere an der richtigen Stelle die Straße kreuzen.2


1   H. Reck und B. Schulz, „Biologische Vielfalt sichern durch Wiedervernetzung. Die Regionen und Naturraum übergreifende Umsetzung in Schleswig-Holstein“. 2017. S. 18.
2   A. Holbach: "Grünbrücken sollen Autobahnen überwinden", Kieler Nachrichten. 18.03.2016. Verfügbar unter: http://www.kn-online.de/Nachrichten/Schleswig-Holstein/Tierschutz-Gruenbruecken-sollen-Autobahnen-ueberwinden